1.Teil / besondere Leseprobe von "Weil gemeinsam leben ALLE glücklich macht"

........Die letzten Tage der Sommerferien 2009 gingen langsam zu Ende und wir hatten nur noch wenige gemeinsame freie Tage, bevor Du eingeschult werden solltest. Natürlich beschäftigte mich, wie bei allen anderen Familien auch, die Auswahl eines passenden Schultornisters für Dich. Du bist bis heute eher sehr klein gewachsen für Dein Alter und damals hatte ich zu diesem Thema wirklich sehr seltsame Bilder in meinem Kopf, die mich oft haben schmunzeln lassen. Ich stellte mir vor, wie Du Deinen Schultornister auf den Rücken gesetzt bekommst und dann quasi, wie man es aus einem Zeichentrickfilm kennt, in Zeitlupe ganz langsam nach hinten kippst und schließlich auf Deinem Tornister landest. Deine Arme und Beine sind in meiner Fantasie wild zappelnd in die Luft gestreckt und Dein Gesichtsausdruck erinnert dabei eher an das Bild einer Schildkröte, die auf ihrem Rücken liegt. Natürlich wollte ich Dich solche Momente nicht erleben lassen und nebenbei auch noch Deinem Rücken etwas Gutes tun.

Nach einiger Zeit der großen Suche hatte ich tatsächlich ein Modell gefunden, dass ein sehr geringes Eigengewicht hat. Dieser Tornister war auch noch pink und voller Glitzer und Strass-Steinchen. Als ich Dir das Bild dazu zeigte, bist Du quasi in Jubelschreie ausgebrochen, genauso, wie es sich für ein Mädel bei diesem Anblick gehört. Auch machte ich mir Gedanken darüber, womit wir Deine Schultüte befüllen sollten. Süßigkeiten mochtest Du zu dieser Zeit noch immer kaum und aßt lieber etwas Deftiges. Wenn ich Dich gefragt hätte, hättest Du mir wohl gesagt, ich solle Dir lieber ein Stück gebratenes Fleisch oder eine Salami in die Schultüte packen. Die Idee wäre sicherlich nicht schlecht gewesen und hätte für einige erstaunte Blicke bei Deinen Lehrern gesorgt, aber eine Stimme in mir sagte, dass es doch etwas ungünstig sei, Dir ein paniertes Kotelett oder gar eine Wurst in Deine Schultüte zupacken. Also haben wir kurzerhand Deine Schultüte mit Deinem neuen Etui, wunderschönen Buntstiften, einem neuen Memory und einem Puzzle befüllt…......

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.................Deine Lehrerin erzählte mir nach einigen Wochen mal von ihren Erlebnissen mit Dir beim Einkaufen. Du durftest in Begleitung zum Supermarkt gehen und für den kommenden Tag für Euer Frühstück einkaufen, welches Ihr in Hauswirtschaft einmal pro Woche noch bis heute immer selber zubereitet. Einkaufen kanntest Du ja schon, denn Du bist mir dabei schon lange eine tolle Hilfe.

Freudestrahlend stolziertest Du also in diesen Supermarkt hinein, wo Dir zu aller erst das Obst und Gemüse begegnete. Obst hat Dich noch nie interessiert, aber für Gemüse, Salat und vor allen Dingen Schlangengurken schlägt Dein Herz. Schnurstracks bist Du also auf die Salatgurken zugelaufen, hast Dir eine aus dem Korb genommen und herzhaft hineingebissen. Dein freudiger Kommentar mit vollem Mund dazu war: „Oh, Gurke…“

Zu gerne wäre ich in diesem Moment dabei gewesen, um in das Gesicht Deiner Lehrerin zu sehen. Was lassen die das Gemüse auch einfach hier so offen liegen? Das ist dann wohl zum Reinbeißen da. Zumindest wissen wir seit diesem Tag, warum manchmal Salatgurken ein gefährliches Leben haben. Heute beißt Du nicht mehr in jedes Gemüse, was Dir so unter die Finger kommt beim Einkaufen. Heute holst Du eine dafür vorgesehene Tüte, packst das ein, was auf meinem Einkaufszettel steht, schaust ganz genau nach, welche Nummer das Gemüse für die Waage hat, um dann alleine das Preisschild zu ziehen. Einkaufen klappt bei Dir wirklich hervorragend und auch die Salatgurken haben mittlerweile keine Angst mehr vor Dir und liegen etwas entspannter in ihrem Korb…......

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........Nachdem die ersten Würstchen fertig gegrillt und alle mit Getränken versorgt waren, genoss ich es, wie glücklich Du in der großen Runde am Tisch saßt und Dich gar nicht entscheiden konntest, was Du zuerst essen solltest. In solchen Momenten fliegen Deine Hände vor Freude durch die Luft, was sie immer tun, wenn Du voll herrlicher Emotion bist. Dabei könnte ich Dir einfach stundenlang zusehen.

Wieder einmal liefen die letzten Jahre im Bruchteil einer Sekunde wie ein Film an meinem inneren Auge vorbei. Manchmal habe ich in solchen Momenten den Wunsch, dass die Menschen, die Dir damals so wenig Chancen fürs Leben eingerechnet hatten oder geglaubt hatten, dass Du mit Deinen Diagnosen eine Belastung für mich im Leben seist, Dich jetzt sehen könnten. Auch würde ich gern betroffene Eltern, die sich noch für oder gegen ein behindertes oder krankes Kind entscheiden müssen, genau in solch einen Augenblick entführen. Vielleicht würde es bei ihnen die eine oder andere Angst schmälern. Vielleicht hätten mehr Eltern entgegen aller Gegenargumente anderer zum Trotz bewusst den Mut, sich für dieses Kind zu entscheiden. Vielleicht würde generell unsere Gesellschaft irgendwann erkennen, welch eine Bereicherung Menschen wie Du für unser aller Leben sind und was wir anderen von Euch tagtäglich lernen und genießen dürfen. So vielen Aussagen zum Trotz saßt Du am Tisch vor Deinem Salat, Deinem Brot mit Kräuterbutter und jeder konnte erkennen, dass es nichts auf der Welt gibt, dass Dir Deine Lebensfreude und Deine unbändige ehrliche Liebe nimmt.    Ohne Worte sagte ich Dir: „Auch wenn ich am Anfang viele Ängste hatte, ich wusste immer, dass Du allein bestimmst, wie Dein Leben aussieht. Für manche Menschen hast Du das Unmögliche möglich gemacht und das nur mit Deinem freien Willen, unsagbar tiefem Vertrauen und einem unbeschreiblichen Wissen, welches mit dem Kopf nicht erklärbar ist. Die Kraft, die in Dir steckt, mögen viele vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennen, doch ich kann sie zu jeder Zeit voll und ganz sehen und fühlen. Du bist wunderbar mein Engel und eine Bereicherung für jeden, der Dir begegnet. Danke, dass ich Deine Mama bin.“.................

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